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Flachsröße

von Flachs, Leinen und kleinen Diebereien
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Eigentlich müßte es Flachsröthe oder -röste heißen, so wie noch auf der Flurkarte von 1789 "die Flachs Roehte". Die Flachröthe war ein flacher Teich zur Fermentierung des Flachses (= Gemeiner Lein). Hier ließ man den Flachs nach dem Reepen einige Tage im Wasser verrotten (rösten/faulen), um diesen so für die Weiterverarbeitung (dem Brechen u. Hecheln) weicher und kämmbarer zu machen. Die Flachsrotte war ausserhalb des Dorfes angelegt, weil während des Röstens  ein übler Gestank entstand. Das faulige Wasser konnte nach dem Rösten anschließend einfach über einen Graben in die Stecknitz abgeleitet werden (s.a. Wikipedia Röste). Dieser Teich rechnete in Krummesse zu den Gemeinheiten, gehörte also der Dorfgemeinschaft.

Im Rumpelstilzchen spinnt die Müllerstochter noch Stroh zu Gold. Heute ist das Spinnen von Flachs am häuslichen Spinnrad schon so fern wie Grimms Märchen selbst. Doch war dies früher in vielen Katen das normalste von der Welt. Ohne Garn kein Stoff, ohne Stoff keine Hemden, keine Laken. In Krummesse gab es viele Kätner die im Nebengewerbe auch Leineweber waren. Diese stellten auf eigenen Handwebstühlen Stoffe in Leinwandbindung her, aus denen dann z.B. die Arbeitsbekleidung geschneidert wurde. Schon in den Lübecker Neubürgerlisten wird 1330 ein "Hinricus de Crummesse linifex" also ein Heinrich aus Krummesse, Leinweber genannt. So hatte dieses Handwerk in Krummesse offenbar schon eine lange Tradition und wurde bis Ende des 19. Jahrhunderts hier noch betrieben.

Bei der Familie Sarse, die eine Katenstelle unterhalb des Friedhofes an der Niedernstraße besaß, kann man von einer regelrechten Weber-Dynastie sprechen.


Sarse, Casp. d.J. (*(1658), † 1728) Kätner und Leineweber

Sarse, Pet. Xian (*1708, † 1777) Kätner und Leineweber

Sarse, Joh. Jürg. (*(1754), † 1806) Kätner/1/4-Hufner und Leineweber
Sars, Casp. Heinr. *(1781), † 1872) Weber und 1/4-Hufner
Sarse, Nic. Gottfr. Fried. (*(1804), † 1881) 1/4-Hufner, Weber und Totengräber

Sars, Joh. Fried. Ludw. 1880 1/3-Hufner und Weber

Sars, Joh. Joch. (*(1788), † Kr. 1869) Weber

Sarß, Dav. Diet. Wilh. *(1821), † 1889) 1866-1880 Weber

 

Weitere Weber waren:

Altmann, Hinr. Kätner und Leineweber 1698
Bülßing, Hans, Leineweber 1614

Bartels, Hinr. (*(1707), † 1760) Leineweber

Bentien, Clas Hinr., Weberges. 1793
Christians, Albrecht (*(1686), † 1730) Kätner und Leineweber

Feldmann, Hinr., Kätner und Weber 1656
Grag, Xopher, Leinweber 1790

Koop, Joh. Jürg. (*(1788) † 1838) Weber und Arbeitsmann
Koop, Joh. Joch. Fried. (*1800, † 1876) Neuanbauer und Weber

Rüting, Röttert (* ? , † 1692) Leineweber
Springer, Peter (*1669, † nach 1741) Kätner und Leineweber

Sicherlich gab es in Krummesse noch viel mehr Weber, nur bei den oben Angeführten war in den Akten bzw. im Kirchenbuch auch die Berufsbezeichnung "Weber/Leineweber" angegeben. Dies war keineswegs eine Krummesser Besonderheit, auch in den Nachbardörfern/ überall auf dem Land gab es Kätner, die die Weberei im Nebengewerbe betrieben. 1702 erließ Herzog Georg Wilhelm von Braunschweig-Celle, dass in Lauenburg "auf dem platten Lande" jeweils in einem Dorf auch nur ein Weber ansässig sein durfte. Diese Beschränkung wurde aber bald wieder aufgehoben. Ab 1778 durfte dann auf dem Lande nur noch grobes Leinen hergestellt werden und den Leinwebern war es nicht gestattet Gesellen oder Lehrburschen halten.

Der produzierte Leinenstoff war hauptsächlich für den ländlichen Bedarf. Ein Verkauf auf dem Lübecker Markt war nicht möglich, denn die in Zünften organisierten Weber (Amt der Leineweber) in der Stadt ließen dies nicht zu. So wurden z.B. 1586 einem Sarauer Weber sein Leinen in Lübeck abgenommen und der Ratzeburger Amtmann mußte beim Marstall-Gericht intervenieren, um die Leinwand wieder zu bekommen. 1692 heißt es dazu erneut in einem Marstallbericht: "Commissum den Herren des Marstalls, das Lein, so außerhalb auf den nächsten Dörfern gemacht worden, und zur Stadt gebracht wird, wegnehmen zu lassen." Das galt auch für die kleineren Städte wie Ratzeburg und Mölln, wo die Leinweber ebenfalls in Ämtern organisiert waren und darauf achteten, dass ihnen die Leinenweber vom Land nicht zu Konkurenz wurden.

Über den Flachsanbau in Krummesse erfahren wir etwas aus dem sogenannten Flachsregister des Amtes Ratzeburg von 1670 (KARZ, Abt. 2 Nr. 735, Abschrift P. Jürs). Hierin sind die Flachsabgaben des Hufners Hans Seemanns (* 1619, s. RZ Hufe e) über die Jahre von 1665 bis 1670 an das Amt in Pfund (lb) genannt:

Krummeß

2 lb von ao 1670 Hanß Seeman, Noch 10 lb von ao. 65. 66. 67. 68. 69. 12 S[umm]a.

Eingebr. nichts Rest 12 lb.

Schon 1659 hatte dieser jährlich 2 Pfund Flachs zu dem 4 Pfund Spinnen abzugeben. Das bedeutet, er war verpflichtet zu den 2 Pfund Flachs noch 4 Pfund schon gesponnenen Flach als Steuer zu zahlen (s. Urbaramtsbuch KARZ Abt. 2 Nr. 626). Er ist aber in Krummesse der einzige Bauer, der verpflichtet war Flachs an das Amt abzugeben. Im benachbarten Klempau waren es z.B. 8 Bauern, die jeder 2 Pfund Flachs und 4 Pfund gesponnenen Flachs jährlich abgeben mussten. Dies änderte sich auch 1689 unter seinem Nachfolger Hinrich Stau nicht. Auch dieser war der einzige Krummesser der Abgaben in Flachs und Gespinnst zu zahlen hatte.

 

Neben den Hofdiensten, Rauchhühnern, Mastschweinen u.ä. war Flachs im Lauenburgischen im 17. Jhdt. eine gängige Abgabe der Bauern (s. bspw. Amts- und Landbuch des Amtes Lauenburg von 1618) und sicherte so die Grundversorgung der Bevölkerung mit Textilien.

Der Heimathistoriker Funck schrieb hierzu in der Lauenburgischen Heimat Heft 53:

Im Laufe der Zeit hatte sich die Gewohnheit herausgebildet, dass jeder Hufner "auf der Straße" d.h. auf dem Brink, dem Dorfanger, seinen bestimmten Ort besaß, auf dem er gewöhnlich alle 5 bis 6 Jahre Flachs anbaute. Eine ähnliche Regelung schien es auch in Krummesse zu geben, wo sich die Dorfschaft jedes Jahr im Vorfeld einigte, wer wo wieviel besäen durfte. Aber gerade dies "auf der Straße" war dann wohl doch nicht so unproblematisch und normal wie es Funck beschreibt:

Ein besonderer Fall zu diesem Thema und typisch für Krummesse, weil es mal wieder die Landeshoheit betraf, ereignete sich 1623 (s. LASH Abt. 210 Nr. 557). Der 30-Jährige Krieg wütete zwar schon seit fünf Jahren, hatte aber das Lauenburgische noch nicht erreicht. Die 1608 stark in Mitleidenschaft gezogene Kirche war fast wieder hergestellt, das Pastorat wieder aufgebaut und mittlerweile hatten die von Brömbsen das Sagen im Lübschen Teil. Franz Knacke (*(1568), † (1648), lauenburgischer Halbhufner und Krugwirt hatte ein kleines Stück Land vor seinem Haus, dass offiziell zur Heerstraße gehörte, gepflügt und mit Leinen besät. Und wie es sich herrausstellte war schon der Umstand, wie man an das Saatgut gelangt war, einer gerichtlichen Verhandlung wert.

 

Ein Lübscher Kaufmann hatte Anfang des Jahres im Krug der Knackes übernachtet und seinen mit Kaufmannsgütern beladenen Wagen zu Sicherheit in der Scheune abgestellt. Die Wirtin, Anna Kracke, die sogleich die Gunst der Stunde erkannte, beauftragte ihren Knecht des nachts von den in Tonnen gelagerten mit Leinsaat gefüllten Säcken etwas abzuzwacken. Und als alles im Hause schlief, schlich sich der Knecht lautlos in die Scheune und bohrte mit einem spitzen Stock kleine Löcher in die Säcke und ließ insgesamt 4 Scheffel Leinsaat abfließen. Diese wurde dann in der Kuhkrippe heimlich gelagert. Und wie jetzt der Frühling ins Haus stand, mußte das Saatgut selbstredend auch in die Erde, um wieder Früchte zu tragen. Zwei Scheffel genügten nun auch nicht um ein ganzes Feld damit zu besäen, so dass nun ein angemessenes Stück Land dafür beschafft werden musste. Und das lag direkt ungenutzt vor der Haustür. War es für den Straßenverkehr ohnehin viel zu großzügig bemessen und diente nur dem allgemeinen Vieh als Gräsung.

Und in so nachrichtenarmer Zeit konnte eine so kühne Heldentat ja nicht einfach verschwiegen bleiben und musste auch weitererzählt werden. So hatte Anna Knacke sich mit ihrer Dieberei der Meyerschen* von Rondeshagen anvertraut und ihr alles im Geheimen erzählt und um diese dann sicherheitshalber mundtot zu machen notgedrungen mit ihr auch geteilt.

*vermutlich Hinrich Meyers Frau von der Rondeshagener Mühle

Am 29. April 1623 lies der Notar Michael Rhovinus im Auftrag des Ratzeburger Amtes in Krummesse acht Krummesser in Hans Orthusens Krug zusammenrufen, um diese zu vernehmen. Diese wurde ordnungsgemäß auf ihre Aussagepflicht hingewiesen und vereidigt.

...

Im Sommer 1674 kam es erneut zu einem Streit wegen eines kleines Stückchen Landes an der Heerstraße, dass mit Lein besät worden war. Der Lauenburgische Hufner Jürgen Flögel  hatte dazu eine Graben zwischen seinem Haus und des Lübschen Kätners Hans Seemann zugeschüttet. Da die Aussaat geschweige denn das Zuschütten des Grabens nicht mit der Dorfschaft abgesprochen war, ließ der lauenburgische Bauernvogt Andreas Bohne den Flachs wieder abmähen. Hinrich Brömbsen beschwerte sich daraufhin beim Amtmann. Dieser lies dann am 11. Juli mehrere Krummesser hierzu vernehmen, die die Unrechtmäßigkeit des Geschehenen bestätigten und der Graben wieder hergestellt werden sollte.

Wer sich noch mehr über das Thema der Flachsverarbeitung und Leinenherstellung informieren möchte, dem seien folgende Aufsätze von Dr. Hans-Georg Kaack in der Lauenburgischen Heimat empfohlen:

Von Flachs und Leinen, Teil I Lbg. Heimat Heft 62/63 und

Von Flachs und Leinen, Teil II Lbg. Heimat Heft 64

Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Leinenweberei auf dem Lande durch das Aufkommen der Baumwolle in Verbindung mit modernen Spinn- und Webmaschinen als Nebeneinkommen der Kätner aufgegeben.

1604: Schlichtung von Streitigkeiten des Schleusenmeisters Joachim Möller mit Claus Tode zu Rondeshagen über Flachsrösten an der Hoheitsgrenze in einem Frischteich (AHL ASA int. Nr. 29193)

Ratzeburger und Möllner Leineweberämter

 

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Die Flachsröthe 1789
Der Weber aus dem Ständebuch von Jost Amman
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